Besprechung von Yogendra (Team india instruments)
Ein wenig irreführend ist der Titel des Films ja schon. Schließlich geht es allenfalls am Rande um Mantras im Sinne heiliger Silben, denen bei richtiger Wiederholung bestimmte magisch-mystisch-spirituelle Wirkungen zugeschrieben werden. Und es geht auch nicht um einen Weg von Klang in Stille. Der Film widmet sich vielmehr dem Chanten – dem gemeinsamen wiederholenden Singen von Mantras oder Götternamen aus verschiedenen indischen Traditionen.
Chanten ist im Lauf der letzten 20 Jahre weltweit immer populärer geworden und spielt heute vor allem in der ebenfalls enorm gewachsenen Yoga-Szene eine wichtige Rolle. Während viele Yogapraktiken Disziplin und Kontrolle üben, geht es beim Chanten um Bhakti: Hingabe und Loslassen – Herz pur gewissermaßen. Das macht das Chanten sowohl zu einer wunderbaren Ergänzung zu kopflastigeren Yogawegen als auch zu einem Gegenpol zu medienüberfluteten und digitalisierten modernen Lebens- und Arbeitswelten. Chanten liegt damit auch auf einer Wellenlänge mit den meditativen Gesängen der christlich ökumenischen Gemeinschaft von Taizé und der wachsenden Begeisterung für das Singen in Chören und ist Teil einer größeren Bewegung, die in einer von Technik beherrschten Welt nach leiblich-sinnlicher Erfahrung, emotionaler Intensität und Gemeinschaftserlebnissen sucht.
Mantra: Sounds into Silence ist eine inbrünstige Liebeserklärung an das Chanten, liebevoll inszeniert mit stimmungsvollen Bildern und betörender Musik. Zu Wort kommen sowohl Menschen, die gerade allererste Erfahrungen mit Chanten gemacht haben, als auch regelmäßig Praktizierende und natürlich die bekannten Pioniere der Chanting-Welle. Sie alle erzählen davon, wie sie durch Chanten Heilung, inneren Frieden und ihren ganz eigenen Weg gefunden haben. Jedes Wort ist ein Plädoyer für die erlebte positive, verwandelnde Kraft des Chantens. Das Herz des Films bilden aber nicht die Worte über das Chanten, sondern die Szenen aus Chanting-Zusammenkünften. Sie laden dazu ein, deren ganz besondere Atmosphäre zu erspüren, mitzuschwingen und sich berühren zu lassen. Zu erleben sind dabei Deva Premal & Miten, Krishna Das, Snatam Kaur, Jai Uttal, MC Yogi, Dave Stringer, Lama Gyurme & Jean-Philippe Rykiel und noch viele viele andere.
Bei näherem Hinschauen wirft der Film, wohl ungewollt, aber auch einige Fragen auf. In manchen Statements erscheint das Chanten als Wellnessprodukt, das weiße Mittelschichtler vor allem zum Streicheln der all zu zart besaiteten eigenen Seele benutzen. Ist das Bhakti? In einer Szene singt Snatam Kaur scheinbar versunken auf einer großen Bühne – und bricht mittendrin ab für eine Ansage an den Tontechniker. Der nächste Kameraschwenk zeigt einen leeren Saal: Wir sind Zeugen einer Technik-Probe. Was ist an der gezeigten Entrückung Inszenierung? Welche Rolle spielen dabei musikalisches und bühnentechnisches Handwerkszeug? Ist eine größere Chanting-Veranstaltung mit hunderten oder gar tausenden TeilnehmerInnen letztlich ein ganz normales Konzert, nur mit besonders ausgeprägten Mitmachelementen? Oder eine Art überkonfessionelle spirituelle Feier? Wenn bei einem Auftritt von Deva Premal & Miten in Moskau in einem Konzertsaal mit mehreren tausend Plätzen zahllose Teilnehmer mit einer Hand auf dem Herzen mitsingen und mit der anderen Hand mit dem Smartphone filmen – gibt es dann noch einen Unterschied zu einem Pop- oder Rockkonzert, bei dem die echten Fans auch alle Liedtexte inbrünstig mitsingen? Manch versierter Pop-Entertainer bittet nach einer emotionalen Ballade ja auch um Stille statt Applaus, damit sich anrührende Gänsehautmomente ergeben. Und hat ein Mantra die gleiche Wirkung, egal ob es zu Harmonium und Tabla gesungen, über E-Gitarre und Schlagzeug geshoutet oder über digitale Beats gerappt wird?
Das sind offene, wichtige Fragen an VeranstalterInnen und ZeremonienmeisterInnen von Chant-Events. Aber letztlich werden sie beiseite gerückt vom wuchtigen emotionalen Höhepunkt des Films: Wir begleiten Jai Uttal und ein paar Mitmusiker in ein unwirtliches Gebäude, wo sie mit ihren Instrumenten und gezückten Ausweisen durch eine Sicherheitsschleuse müssen. Es geht ins San Quentin State Prison, das als eines der brutalsten Gefängnisse Kaliforniens gilt. In einem kleinen, kargen Saal gibt es Kirtan, ein Chanten in Call and Response Form. Ein paar dutzend Häftlinge, überwiegend ältere, dunkelhäutige Männer, haben sich dazu eingefunden und lungern zunächst abwartend auf den unwirtlichen Bänken. Aber im Lauf der Veranstaltung öffnen sie sich langsam, wippen im Rhythmus, fangen an mitzusingen, blühen auf, klatschen, erheben sich, werfen die Arme in die Luft, und tanzen schließlich ausgelassen durch den Raum, strahlend vor Glück und Freude. Und die Beseeltheit, die erlebte Freiheit der Seele trotz äußerlicher Gefangenschaft, leuchtet in diesen Menschen weiter, als sie nach dem Kirtan interviewt werden. Deutlicher denn je wird da die unmittelbare, elementare Kraft des Chantens. Es stellt keine Bedingungen und setzt nichts voraus. Man muss nichts können oder wissen, um dabei zu sein. JedeR kann sofort und unmittelbar daran teilhaben. Man braucht sich nur zu öffnen und loszulassen. Dann können Wunder geschehen.
Mantra: Sounds into Silence läuft seit März in ausgewählten Kinos in den USA, seit Juni in Deutschland und Österreich, vor allem in größeren Städten, und kommt ab September nach Australien und Neuseeland. Website des Films mit Trailer und vielen weiteren Infos: www.mantramovie.com
Quelle: www.india-instruments.de/newsletter-archiv-details/rundbrief-juli-august-2018.html